Gespräche über die Erfolge der Gemeindepsychiatrie und die Hürden der Bürokratie
Im Rahmen seiner Wahlkreisarbeit besuchte Landtagsabgeordneter Heiner Illing die Tagesstätte Oase des Vereins für Integration und Teilhabe am Leben e.V. in der Schlossgasse. Vorstandsvorsitzender Dr. Wolfgang Guth gab einen kurzen Überblick über die Entstehungsgeschichte des Vereins, der 1984 als Hilfsverein von ihm gemeinsam mit Angehörigen, Psychiatrieerfahrenen und Mitarbeiter*innen der damaligen Landesnervenklinik (LNK) ins Leben gerufen wurde. Denn als Dr. Guth 1984 seine Arbeit als ärztlicher Direktor der LNK Alzey aufnahm, war die heutige Rheinhessenfachklink (RFK) mehr eine Verwahrpsychiatrie, wie viele Psychiatrische Kliniken zu dieser Zeit. „Mit Zuständen, wie in der Psychiatrie-Enquete 1975 beschrieben!“, verdeutlicht Guth den dringend notwendigen Reformbedarf. Im Laufe seiner 28-jährigen Dienstzeit entwickelte sich die Klinik zu einem modernen Fachkrankenhaus mit vielfältigen Angeboten wie z.B. Tageskliniken, Tagestätten und Institutsambulanz. Zugleich kümmerte sich der damalige Hilfsverein darum, Menschen mit chronisch psychischen Beeinträchtigungen, die über Jahre stationär behandelt wurden, über betreute Wohnprojekte eine Möglichkeit der Integration und Teilhabe am Leben zu bieten, wieder sichtbarer Teil der Gesellschaft zu werden.
„Es ist erfreulich, zu sehen, wie sich einige im Laufe der Jahre durch unsere Betreuung entwickeln. Sich öffnen, grüßen, sich mitteilen!“, freut sich Esther Herrmann über die Erfolge der in viele ineinandergreifende Bereiche aufgeteilten Arbeit mit chronisch psychisch Kranken. Die Gesamtleitung erläutert die Hauptpfeiler des Vereins: Psychosoziale Assistenz (vormals Betreutes Wohnen), Soziotherapie, Integrationsfachdienst Rheinhessen-Nahe und die Tagesstätte Oase.
Das Durchschnittsalter liege bei 57 Jahren, viele hätten auch körperliche Gebrechen. Umso erfreulicher, dass durch die Spendenaktion „Leser helfen“ der Allgemeinen Zeitung Alzey und zusätzliche Geldzuwendungen der neue feuerrote Transporter mit Einstiegshilfe angeschafft werden konnte, so Tagesstellenleiterin Martina Tarhri. „Außerdem war die zehnteilige AZ-Serie über den Verein ein Türöffner, gab Einblicke in die Praxis der gemeindenahen Psychiatrie und den Alltag der betreuten Menschen.“
Eine große Hürde jedoch sei die Bürokratie. „Es ist schwer, an Kostenzusagen vom Kreis zu kommen!“, so Herrmann. „Wir sind in der Psychosozialen Assistenz und der Tagesstätte finanziert über die Eingliederungshilfe!“ Das Problem allerdings seien die verschiedenen Töpfe, die Aufteilung in verschiedene Sozialgesetzbücher und die Vorgaben wie z.B.: erst Soziotherapie, dann Eingliederungshilfe. „Das Problem ist, dass die Finanzierung so verzweigt ist und die Kostenträger sich gegenseitig die Kosten zuschieben!“, so Herrmann. Außerdem schreibe das neue Bundesteilhabegesetz eine Neue Individuelle Bedarfsermittlung (IBE) vor, die von „Fallmanager*innen“ der Kostenträger im Landkreis und nicht mehr von den Leistungserbringern durchgeführt wird. Diese Fallmanager*innen kommen von außen und kennen nicht die besonderen Lebenslagen und Persönlichkeiten der Klient*innen. Sie stellen eine weitere Hürde auf dem Weg durch die Bürokratie dar. Das Gesetz sage aber auch aus, dass es zu jeder Tagesstätte eine Kontaktstelle geben solle. „Diese gibt es hier nicht!“, bemängelt Herrmann und betont die Wichtigkeit eines offenen Angebotes für Beratung, Information und Hilfe.
„Für Menschen mit psychischen Krisen und Erkrankungen sind die Hürden viel zu groß!“, bestätigt Dr. Guth die Notwendigkeit eines niederschwelligen Angebotes. Es fehle an Schnittstellen, um die Menschen dort abholen zu können, wo sie stehen. „Wie bekomme ich das Ergebnis gesichert?“, formuliert Illing die Zielrichtung. Der Landtagsabgeordnete versichert, eine offizielle Anfrage an den Landkreis zu stellen.
Veröffentlicht am 18.11.2021.